Worum geht’s?
Dem Zugang zu Digitalisierung kann nicht nur mangelnde Infrastruktur im Weg stehen, sondern auch eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts oder soziale Hürden. Ein Beispiel hierfür ist die Ausstattung mit digitalen Endgeräten. Solche Hürden müssen wir überwinden, damit endlich jede*r Zugang zu Digitalität hat.
Darum ist das wichtig:
- Geschlechtergerechtigkeit: Die Gleichstellung der Geschlechter ist uns GRÜNEN ein Kernanliegen. Das gilt in der Digitalisierung nicht weniger.
- Soziale Gerechtigkeit: Menschen müssen unabhängig von ihrem Einkommen und ihrem sozialen Status am digitalen Teil der Gesellschaft teilhaben können.
- Bessere Bürger*innenbeteiligung und stärkere Wirtschaft*: Dass multi-diverse (vielfältige) Teams die besseren Antworten auf komplexe Fragen finden, ist inzwischen wissenschaftlich erwiesen. Deswegen profitiert digitale Bürger*innenbeteiligung genauso wie die Wirtschaft, wenn möglichst viele Menschen sich an diesen digitalen Prozessen und Arbeiten beteiligen können.
Status quo:
Die Digitale Kluft, das meint den Unterschied zwischen einkommensstarken und einkommensschwachen Personen beim Zugang zu Digitalität ist an sich kein neues Problem, so findet sich bei der Bundeszentrale für politische Bildung ein Artikel über die globale Digitale Kluft in Bezug auf Afrika, der noch aus dem Jahre 2005 stammt. Dass die Digitale Kluft aber auch ein deutsches Thema ist, dürfte spätestens seit der Corona-Pandemie offenbar sein: Schulkinder, deren Eltern selbst nur eine eingeschränkte Digitalkompetenz besitzen, sind im Distanzunterricht benachteiligt, denn bei Fragen können die Eltern nicht helfen und die Lehrer*innen sind fern. Unternehmer*innen die an Orten mit schlechter Internetanbindung wohnen oder selbst noch keine Digitalkompetenz entwickeln konnten, haben Probleme, die Corona-Hilfen zu beantragen, weil die Antragstellung teils nur digital möglich ist. Die Süddeutsche Zeitung berichtete sehr anschaulich. Zwar ist auch mangelnde Infrastruktur ursächlich für die digitale Kluft, allerdings haben andere Aspekte hier erhebliche Auswirkungen: Das Haushaltseinkommen entscheidet mit darüber, ob und welche Geräte zur Verfügung stellen. Der Bildungsstand darüber, wie sicher diese genutzt werden können.
Daneben gibt es auch eine Digital-Gender-Gap. Dieser besteht auf mehreren Sektoren. Zum einen nehmen Frauen sich selbst durchweg signifikant (>10%) als weniger kompetent in digitalen Dingen wahr als Männer, wobei diese Abweichung in höheren Alter noch mal erheblich zunimmt. Zum anderen werden Frauen im beruflichen Kontext auch fast durchweg signifikant (>10%) weniger häufig mit digitalen Geräten oder Tools ausgestattet als Männer. Zudem erfolgt Wissensaneignung bei Frauen signifikant seltener durch vom Arbeitgebenden finanzierte Fortbildungen. [1] Die Hauptstellschrauben zum Überwinden der Digital-Gender-Gap liegen dabei auf der nationalstaatlicher Ebene [2]. Möglicherweise gibt es einen Zusammenhang zwischen der Digital-Gender-Gap und der geringen Anzahl an Gründerinnen. Der Digital-Gender-Gap ist dabei aber nicht nur ein deutsches Problem, sondern hat durchaus globale Ausmaße. Studien dazu, inwieweit die Digital-Gender-Gap auch Personen betrifft, deren tatsächliche geschlechtliche Identität von der bei Geburt zugewiesenen abweicht, gibt es derzeit noch nicht.
Wie kommen wir hier voran:
Die digitale Kluft überwinden: Gute, günstige Geräte
Damit alle Menschen Zugang zu Digitalisierung haben brauchen sie ein digitales Endgerät. Ökologisch nachhaltige Geräte müssen deswegen erschwinglich werden und für Menschen ohne oder mit sehr geringem Einkommen gestellt werden.
Soziale Hürden beim Zugang überwinden, das heißt zunächst, dass die Menschen mit qualitativ hochwertigen und leistungsfähigen Geräten ausgestattet werden müssen. Hier könnte man beispielsweise zunächst an eine Teilhabeleistung denken, die für Menschen, die es sich nicht leisten können, in einem vorgegebenen Zeitraum die Kosten für ein digitales Gerät übernimmt – beispielsweise bis zu einer Höhe von 500 Euro alle 4 Jahre. Problematisch ist dabei allerdings, dass gerade in diesem Preissegment viele Geräte angeboten werden, die weder von guter Qualität sind, noch unter Gesichtspunkten der Nachhaltigkeit zu begrüßen sind. Um ihren Zweck zu erfüllen und nicht anderen politischen Zielen zuwiderzulaufen, sind also Kriterien an Produkte zu stellen, die durch eine solche Teilhabeleistung finanziert werden sollen. Diese Kriterien können beispielsweise anhand einer kostengünstigen und einfachen Zertifizierung überprüft werden.
Allerdings genügt es nicht nur, Kriterien festzulegen, die an Teilhabe-Geräte zu stellen sind. Vielmehr muss auch der Markt entsprechend befördert werden, dass in diesem Preissegment bereits nachhaltige Geräte verfügbar sind. Das kann einerseits durch die Förderung von Projekten zur Entwicklung derartiger Geräte geschehen. Andererseits ist allerdings auch der Markt für Gebrauchtgeräte, insbesondere mit Blick auf die gewünschte Nachhaltigkeit, ein wichtiger Verbündeter bei der digitalen Teilhabe. Das gilt umso mehr, als dass die Sprünge bei der Leistung von Mikroprozessoren wieder kleiner werden und Geräte also nicht kurzfristig leistungsmäßig veralten. Auch jetzt gibt es schon einen Markt für Gebrauchtgeräte, allerdings gibt es dort verschiedene Einschränkungen: Geräte erhalten häufig vom Hersteller nur wenige Jahre Softwareupdates und somit ist deren Sicherheit schnell gefährdet. Ebenso sind häufig wenige Jahre nach Veröffentlichung eines Geräts bereits keine Ersatzteile mehr für dieses Gerät verfügbar oder der Hersteller verweigert den Verkauf von Ersatzteilen an unabhängige Werkstätten. Auch werden Geräte – häufig unter dem Deckmäntelchen der technologischen Weiterentwicklung – so gestaltet, dass sie nur schlecht reparierbar sind. Forderungen, die bereits unter Gesichtspunkten der Nachhaltigkeit sinnvoll sind – Anspruch auf die Versorgung mit Softwareupdates und Ersatzteilen durch den Hersteller, Anforderungen an die Reparierbarkeit von Geräten –, sind somit auch unter Teilhabeaspekten unbedingt erforderlich.
Empowerment digitally made
Wir brauchen auch Empowerment im Digitalbereich um Zugangshindernisse aufgrund des Bildungsstands zu reduzieren und die Digital-Gender-Gap zu schließen. Dieses Empowerment muss bereits in den Schulen beginnen. Digitalkompetenz und digitales Selbstbewusstsein muss von Beginn an vermittelt werden: Digitalkompetenzen müssen also Teil des Pflichtkanons sein. Insbesondere FINT*-Personen muss dabei ein eigenes Erleben vermittelt werden, nachdem sie digital kompetent sind. Wenngleich der Bund keine Kompetenz im Bildungsbereich hat, kann er doch Unterlagen bereitstellen, die es Lehrenden erleichtern diesen Aufgaben nachzukommen. Die Förderung von Medienkompetenz bei jungen Menschen ist allerdings nicht nur Bildungsleistung, sondern auch Teil der Kinder- und Jugendhilfe. Über die Kinder- und Jugendhilfe, insbesondere den Kinder- und Jugendförderplan des Bundes besteht hier die Möglichkeit, gezielt mit Zuschüssen solche Projekte freier Träger zu fördern, die junge Menschen digital empowern. Besondere Bedeutung kommt hierbei der Vermittlung dieser Kompetenzen durch Jugendverbände zu, da diese als selbstorganisierte Arbeitsform junger Menschen und in der Vermittlung durch Peers besonders effektiv ist. Jugendverbände können häufig auch bildungsferne Jugendliche erreichen, was die besonderen Zugangshindernisse aufgrund des Bildungsstands des eigenen Haushalts zu überwinden hilft. Bei all dem ist es wichtig, insbesondere Maßnahmen von und für FINT*-Personen zu fördern.
So gut und richtig es ist junge Menschen, insbesondere junge FINT*-Personen, im Digitalbereich zu empowern, so ist dies doch nur die halbe Miete: Menschen unter 30 Jahren – die entgegen gängiger Annahmen keinesfalls Digitalexpert*innen sind (S. 16) – machen etwa 30 Prozent der Bevölkerung aus. Auch bei Menschen über 30 muss die digitale Kluft geschlossen werden. Berufstätige Menschen erreicht man hier besonders gut über die Förderung berufsbegleitender Fortbildungen. Hier braucht es eine Initiative für Digitalkompetenz in Unternehmen. Das Erlernen digitaler Kompetenzen darf nicht in Konkurrenz zu anderen Fortbildungsangeboten stehen. Deswegen muss es eine gesonderte Fortbildungsleistung sein, die Beschäftigte in Anspruch nehmen können und für die es einen Anreiz jenseits des puren Wissensgewinns geben muss. Ähnliche Angebote mit Anreizen muss es auch für Menschen ohne Arbeit geben. Was das digitale Empowerment älterer Menschen, die bereits aus dem Berufsleben ausgeschieden sind, angeht, so ist einerseits auf Multiplikatoreneffekte zu hoffen: Kinder, Enkel oder jüngere Bekannte können hier Zugkraft entwickeln und begeistern. Ob Angebote der Volkshochschulen, die ohnehin nicht der Kompetenz des Bundes Unterfallen würden, einen signifikanten Beitrag zur Kompetenzvermittlung leisten, mag, ungeachtet sicherlich positiver Effekte im Einzelfall, bezweifelt werden. Denkbar und vielleicht zielführend wäre ein Online-Portal zur Kompetenzvermittlung gezielt für ältere Menschen. Dieses müsste unter der besonderen Berücksichtigung der Bedürfnisse und Wünsche sowie unter starker Einbindung eben dieser erfolgen.
FINT*-Personen digital gerecht ausstatten: Rechtsanspruch auf Home Office
Nachdem in der Corona-Pandemie klar wurde, dass Kinderbetreuung und Home Office nur bedingt zusammen funktionieren und insbesondere Frauen dadurch stärker belastet werden erscheint es im ersten Moment vielleicht konterintuitiv, dass gerade ein Rechtsanspruch auf Home Office hier für mehr Geschlechtergerechtigkeit sorgen soll. Wichtig ist hier grundsätzlich, dass ein Anspruch zunächst einmal nur dem Arbeitnehmenden ein Mittel in die Hand gibt Home Office für sich einzufordern und damit keineswegs eine Erwartungshaltung des Arbeitgebenden gesteigert werden soll, dass der Arbeitnehmende das auch in Anspruch nimmt. Ein Faktor der Digital-Gender-Gap ist schlechtere Ausstattung von Frauen mit digitalen Geräten und Tools, auch bei Tätigkeiten für die Home Office prinzipiell möglich ist. Macht man nun als Frau den Rechtsanspruch auf Home Office geltend, dann ist damit grundsätzlich die Notwendigkeit für den Arbeitgebenden verbunden, auch eine Ausstattung mit Geräten und digitalen Tools vorzunehmen. Einmal in die digitalen Prozesse eingebunden ist zudem die Wahrscheinlichkeit gering, dass, auch wenn der Arbeitnehmende nicht mehr ins Home Office geht, hier wieder auf analoge Prozesse zurückgewechselt wird („pain of change“). Insoweit ist der Rechtsanspruch auf Home Office, der auch aus vielen anderen Gründen wie beispielsweise dem Klimaschutz richtig und sinnvoll ist, ein guter Hebel, hier bestehende Ungleichheiten abzubauen.
* Ein Hinweis zum Thema „starke Wirtschaft“: Wenn ich von einer starken Wirtschaft spreche, dann will ich das nicht an einem einzigen Parameter festmachen. Das BIP oder gar „Wachstum“ scheinen mir alleine schlechte Indikatoren zu sein. Insbesondere können Produkte und Leistungen sich wesentlich verbessern (bspw. weniger Energie verbrauchen, barrierearmer sein usw.) ohne zugleich mehr Absatz zu generieren (wobei auch das nicht ausgeschlossen ist). Auch das macht eine Wirtschaft stärker.